Spaßkultur

Lachen ist gesund. Das ist rein physiologisch ein Faktum, da das Lachen nachweislich Abwehrkräfte stärkt, Stress (Adrenalin) abbaut und – ob man will oder nicht – auch Glücksgefühle (Endorphine) auslöst. Einer, der sich immer wieder und völlig unabhängig von Fragen des Hormonhaushalts und der Musik mit dem Lachen beschäftigt hat, war Nikolaus Harnoncourt. Und zwar durchaus auch kritisch, wenn er neben höchst positiven Aspekten des Lachens auch auf das oft Unschöne des Auslachens verwies. Dass es hierbei sogar eine durchaus existenzielle Facette geben kann wird spätestens dann deutlich, wenn wir feststellen, dass jemand “nichts zu lachen“ hat.

So gesehen ist es verständlich, dass man nach dem Lachen strebt und sei es um den Preis, sich der Lächerlichkeit preiszugeben. Sattheit und Zufriedenheit sowie der Wegfall des „eisernen Vorhangs“ als latente Bedrohung haben in den 1990er-Jahren speziell aber nicht nur in (West)Europa zur Bildung einer abseits aller Ernsthaftigkeit ausschließlich auf Zerstreuung und Unterhaltung hin orientierten, sogenannten „Spaß-Gesellschaft“ geführt. Aber führt ein derart hedonistischer Weg mit der Maxime oberflächlicher Lebensart auch tatsächlich zum angestrebten Glückszustand; selbst, wenn die materiellen Ressourcen dafür verfügbar sind?

Grundsätzlich ist ja doch wohl gegen Feste und Feiern nichts einzuwenden: gerade im Fasching ist die Fülle von Ballveranstaltungen in unseren Breiten bis zu Karneval in Venedig oder Rio ein Angebot, das selbst von jenen als positiv wahrgenommen wird, die nur aus der Distanz oder über Berichte partizipieren. Andere präferieren den rustikalen Charme von Faschingsgilden und verschiedene Arten von Kabarett ziehen das ganze Jahr über Publikum in Scharen an. So gesehen ist das Spaßige, sind Sachen zum Lachen, unbedingt Teil unserer Kultur.

Weniger lustig wird die Geschichte allerdings oft, wenn sich bestimmte Gruppen bemüßigt fühlen – meist ohne Rücksicht auf die Umgebung – „die Sau rauslassen“ zu müssen. Wobei natürlich die römischen „Bacchanale“ dafür eine historische Vorlage bilden. Allerdings nicht nur von prüden Kritikern schon damals als Zeichen überbordender Dekadenz apostrophiert. Der wesentliche Unterschied zu Lust und Laune an sich ist dabei, dass der Spaß der einen zur Belastung bzw. Belästigung anderer wird. Damit sind wir bei einer eher heiklen Grenze angelangt.

Wann werden selbst tradierte Usancen des Ausdrucks von Freude vom heiteren Brauchtum zur Ergötzung aller zum Angriff auf individuelle Bedürfnisse und Rechte unbeteiligter bzw. nicht beteiligt sein wollender Dritter? Wobei etwa Böllerschüsse und Feuerwerk in Maßen und zu bestimmten Anlässen von den Betroffenen gemeinhin toleriert werden. Wie aber ist das bei absolut unfreiwilligen, gruppendynamischen Nötigungen? Noch dazu oft mit öffentlicher Bloßstellung und persönlicher Herabwürdigung verbunden? Wo verlaufen die Grenzen zwischen Motivation, Überredung und gesellschaftlichem Zwang?

Sind wir einmal hier angelangt kommen zur individuellen Rezeption von allem, das unter „spaßig“ abgehandelt wird, noch die diesbezüglich völlig unterschiedlichen Wahrnehmungen verschiedener Kulturkreise. Das Ganze auch noch mit einer nicht zu unterschätzenden Komponente der Einordnung bzw. Akzeptanz in verschiedenen Epochen. Wobei da nicht in Jahrhunderten, sondern doch eher in Jahrzehnten gedacht werden muss, wie gerade aktuell die verschiedensten, sich in Art und Ansprüchen ständig wandelnden Regulative von MeToo und Gender-Mainstreaming bis zu verschiedensten Ausprägungen der Cancel-Culture zeigen.

Aber was gehört da jetzt alles dazu, zur Spaßkultur? Meinen wir da auch jene, die nach Ausgewogenheit zwischen Arbeit und Freizeit, der heute in aller Munde geführten Work-Life-Balance, streben? Was ist mit jenen, die einfach gerne zu Demonstrationen gehen, oft ohne sich dafür zu interessieren, worum es gerade geht? Wo hört sich dann der Spaß auf? Wie gehen wir mit denen um, denen es Spaß macht, andere zu quälen? Wo ist dabei die Grenze zur Gewalt?

Alles Überlegungen die klar machen, dass das mit der Spaßkultur doch auch eine recht ernste Sache sein kann. Das schweizerische Synonym „Sauglattismus“ bietet eine schon vom Phonetischen her eher abwertende Variante für diese bei uns trotz aller vorgenannten Einschränkungen doch primär freundlich und fröhlich gemeinte Form unernster Oberflächlichkeit. Und jenen, die bei derartigen Erörterungen einen elitären Kulturbegriff in Gefahr sehen – statt „Kultur“ einfach nur neutral als unsere jeweilige Lebensart zu definieren – sei ins Stammbuch geschrieben: Macht nix, ist ja Fasching!

Oder?

FORUM

1 Kommentar
  1. Univ.-Prof. Dr. Dr. Gerhard E. Ortner sagte:

    Der spielerische Umgang des Autors mit „personalem“ Lachen – vom angedeuteten Lächeln bis zum brutalen SchenkelKlopfen – hat mir Freude gemacht. Zum Lachen fand ich seine Ausführungen nicht, dazu ist das Thema zu ernst. Worin Lachen besteht und wie es körperlich zustande kommt, vermessen BioTechnologen. Mehr oder weniger fest steht derzeit bloß die triviale Feststellung, dass Lebewesen vom Typ „weniger als Mensch“, also Tiere, Pflanzen, Einzeller – in unserem Verständnis – nicht lachen. Menschliches Lachen ist dennoch hochwahrscheinlich natürlich angelegt, hat aber eine ganze Menge mit Kultur – und damit auch mit Bildung, die aus dem Naturwesen“ Mensch“ das KulturWesen „Person“ macht, – zu tun. Also: Sage mir, worüber Du – wie heftig und wie lange – lachst, und ich sage Dir, für wen ich ich halte.
    Ha, ha.!

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