Künstlerleben

1866 war kein lustiges Jahr für Österreich. Nach der verlorenen Schlacht bei Königgrätz stießen die Preußen sogar bis an die Donau vor und Venetien musste in der Folge trotz der erfolgreichen Schlachten von Custozza (Radetzky) und Lissa (Tegethoff) an Italien abgetreten werden. Was Wunder, dass man sich im Fasching 1867 in romantische Idylle flüchten wollte. Im Wiener Dianabad präsentierte Johann Strauß zu diesem Behuf die Walzer „An der schönen blauen Donau“ und „Künstlerleben“. Mit typisch bösartigem Wiener Humor bezog man das Blau auf die Waffenröcke toter französischer Soldaten, die in den lange zurückliegenden Napoleonischen Kriegen von einer russischen Einheit in die Donau getrieben worden waren. Das damals im Vergleich zu heute noch wesentlich schwierigere (Über)Leben von Künstlern wurde entgegen der vorherrschenden Realität ins behagliche Nichtstun überhöht und idealisiert. Schon 1839 hatte Carl Spitzweg mit seinem Gemälde „Der arme Poet“ eine Vorlage für diese Sicht der künstlerischen Welt vorgelegt.

Studiert man das Libretto zu Puccinis „La Boheme“ etwas genauer, so fällt auf, dass neben dem Poeten und dem Maler ein Philosoph als Künstler geführt wird. Und vom nicht näher definierten „Musiker“ Schaunard erfährt man, dass er drei Tage für den Papagei eines Engländers spielen musste (was und wie wird nicht erwähnt), bis das Tier unter seiner Mithilfe starb, damit er zu seinem Honorar kam. Klingt alles recht amüsant, aber ist es das auch? Das tragische Schicksal der Näherin Mimi verdeckt, dass der Philosoph Colline seinen Mantel verpfänden muss, um zumindest versuchen zu können, ihr zu helfen. Aber warum finden wir es ganz normal, dass Künstler schicksalhaft darben und dabei auch noch heiter zu sein haben, um zu unserem Kunstgenuss, zu unserer Erbauung beizutragen?

Durchaus seriöse Studien zeigen auf, dass nur maximal 10% jener, die eine wie immer geartete künstlerische Ausbildung absolviert haben (in der bildenden bzw. darstellenden Kunst oder der Musik; für Poesie und Literatur gibt es bei uns keine spezielle Ausbildung) in der Folge von der Ausübung ihrer künstlerischen Tätigkeit leben können. Die größere Zahl kann sich Künstlersein nur in Kombination mit einem profanen Beruf leisten und die größte Gruppe übt ihre „brotlose“ produzierende oder reproduzierende Kunst nur noch als Hobby aus. Angesichts der Tatsache, dass Studienplätze an Kunst(hoch)schulen die höchsten Kosten pro Kopf generieren ist das wohl auch ein volkswirtschaftlich relevanter Aspekt. Was bedeutet diese evidente Situation nun für jene, die von ihrer Kunst leben wollen und müssen, aber auch für uns als Gesellschaft, die künstlerische Angebote gerne konsumiert und derart wiederum auch erst ermöglicht?

Künstler·innen sind – lassen wir einmal die in Orchestern, Chören oder beim Ballett bzw. an Theatern angestellten Akteure weg – selbstständig unternehmerisch tätig. Entweder produzieren sie kraft spezieller Begabung und Fertigkeit Kunstwerke, die sodann im entsprechenden Marktsegment verkauft werden (müss[t]en) oder sie können für ihre speziellen, künstlerischen (Dienst)Leistungen Honorare verrechnen. Eigentlich ein ganz übliches Geschäftsmodell in einem recht klar definierten Marktumfeld.

Die Parallelen bei nicht-künstlerischen Berufen sind evident und reichen vom Rechtsanwalt oder Notar mit eigener Kanzlei bzw. dem Arzt mit ebensolcher Ordination bis zum (Nebenerwerbs)Landwirt. Alle agieren nach dem selben Muster wie Kunstausübende. Es gibt mittlerweile auch eine Künstlersozialversicherung und wenn es einmal nicht so gut läuft kann man auch entsprechende Sozialhilfen in Anspruch nehmen. Ist also eh alles paletti?

Rein faktisch, ja. Wäre da nicht diese ambivalente emotionale Wahrnehmung des Künstlerberufs. Einerseits werden nicht nur die Stars des jeweiligen Genres, sondern durchaus auch Protagonisten mit weniger medialer Wahrnehmung akklamiert, geschätzt und honoriert (wenn auch vielleicht nicht immer adäquat). Andererseits werden jene, die vielleicht gerade nicht so erfolgreich sind oder deren Produkte bzw. Leistungen im Markt keine Nachfrage finden, oft abwertend konnotiert. Ein Schicksal, das an sich alle trifft, die Abnehmer für Ihre Produkte suchen (auch bei Autoverkäufern gibt es Konjunktureinbrüche) oder um Aufträge bzw. Engagements werben (von Handwerkern mit Nachfrageproblemen bis zum arbeitsuchenden Kranführer). Was ist bei jenen, die einen künstlerischen Beruf ausüben, anders? Oder gibt es diese Differenz ohnehin gar nicht?

Künstler als Unternehmer betrachtet unterscheiden sich nicht von Werktätigen anderer Art. Das, was sie dank ihrer speziellen Fähigkeiten an sich und für uns leisten ist aber nun einmal etwas anderes als die Beschäftigung mit rein materiellen Dingen. Deshalb darf uns das wie immer geartete Künstlerleben nicht egal sein. Schließlich waren wir schon einig, dass wir Kunst in unserem und für unser Leben in jedem Fall brauchen. Oder?

FORUM

2 Kommentare
  1. Univ.-Prof. Dr. Dr. Gerhard E. Ortner sagte:

    Wie ist das eigentlich mit der „BerufsWahl“? Und was, bitte, ist denn ein Beruf, den man wählen kann, soll – und dann auch will. Wer sich zu (irgend) etwas berufen fühlt, hat es leicht(er). Aber vielleicht sitzt er nur einem „IndoktriMen“, also einer kurzen Information, die er gelernt hat, ohne darüber nachzudenken, auf. Nicht selten verbindet man mit einem Beruf eine Tätigkeit, die zu materiellen „Belohnungen“ (Einkommen, Gehalt, Entgelt, Gage) führt. Wer es sich leisten kann, der kann darauf verzichten. Wer davon leben muss oder will, der muss einen Beruf wählen, der ihm das ermöglicht. Die Ausübung von Kunst aller Art ist ein personale Aktivität unter vielen anderen, die die „Kultur“, das Differential des LebenWesens vom Typ „Mensch“ zu allen anderen Lebewesen, ausmachen. An und mit Kultur arbeiten auch Professoren, Politiker und Polizisten! In Gemeinschaften, z.B. Staaten, deren Mitglieder sich in der Mehrzahl nicht für Kunst nicht interessieren. werden es die potenziellen KunstArbeiterInnen oder KunstWerkTätigen mit der Erzielung eines angemessenen Einkommens durch ihre Kunst schwer tun. Wohl dem oder der, die gut FußBall spielen können. Das – immerhin – ist eben auch eine Kunst. Eine wohl dotierte, hört man.

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