Was soll Kunst?

Will man dem mittlerweile schon inflationär zitierten Postulat „Kunst ist ein Lebensmittel“ folgen, so ergibt sich die konsequente Fragestellung, warum wir Kunst zum (Über)Leben brauchen sollten. Ist sie ein Grundnahrungsmittel, ein Nahrungsergänzungsmittel oder ein Genussmittel? Kann man auch ohne Kunstkonsum durchs Leben kommen? Ist Kunst, was wir landläufig darunter verstehen oder kann vielleicht auch die Schönheit der Natur eine Art „höherer Kunst“ sein? Darf auch verschiedenste Kunstfertigkeit unsere Seele nähren? Kann uns eine Überdosis Kunst gar schädlich werden? Und das alles ist angesichts der Tatsache zu betrachten, dass Kunst nicht objektiv definiert werden kann, sondern willkürlicher, individueller Beurteilung unterliegt!

Wenn aber Kunst für uns unentbehrlich ist oder zumindest sein sollte, wieso und warum? Um dies zu beantworten gilt es, die unter diesem Aspekt offenkundig lebensrettende Aufgabe und Leistung von Kunst zu finden und zu definieren. Kein leichtes Unterfangen, weil hier völlig verschiedene Blickwinkel aufeinanderprallen. Wobei interessanterweise weniger eine Diskrepanz zwischen Kunstschaffenden und –konsumenten zu beobachten ist, sondern eine oft völlig unterschiedliche Sichtweise auf beiden Seiten. Evident ist, dass es bei dieser funktionalen Zuordnung aber durchaus erkennbare Denkschulen gibt.

Am weitesten verbreitet und zugleich von vielen als entwertend verachtet ist der Anspruch, Kunst sollte uns schlicht guttun, Aug und/oder Ohr erfreuen, einfach der Erbauung dienen. Ist diese Idee des „Schönen“ Ausdruck von primitivem Kunstbanausentum oder ist nicht gerade der Beitrag zu friedlicher Entspannung und Seelenfriedenfinden eine ganz wesentliche Funktion von Kunst, wenn sie uns ein allgemeines Lebensmittel sein soll?

Demgegenüber verlangen viele, dass Kunst eine Botschaft haben soll oder sogar muss. Andernfalls wäre sie ja zu gar nichts nütze und … (siehe oben). Die Qualität künstlerischer Botschaften reicht dabei vom Bewusst- oder Nachdenklichmachen bis zu Animation oder auch Verstörung. In jedem Fall will man bei den Kunstkonsument·innen eine Reflexion erreichen oder diese auch zu einer Reaktion bewegen. Fakten oder Zusammenhänge sollen erkennbar werden und zumindest die Ausrede des Nichtwissen(können)s rauben. Schon Michelangelo meinte ja demgemäß „Kunst hat die Aufgabe wachzuhalten“.

Weniger sanft sehen die Aufgabe von Kunst jene, die sogar fordern, dass Kunst in jedem Fall aufrütteln und zerstören muss, um überhaupt eine Berechtigung zu haben. Wobei anerkannte Denker wie Adorno vermögen, der Kunst jede Funktion abzusprechen, um gleichzeitig festzustellen, die Aufgabe der Kunst wäre, „Chaos in die Ordnung zu bringen“.

Die letztgenannte Position führt konsequent zu jenen, die Kunst in jedem Fall politisch sehen. Sei es als Mittel zum Zweck (partei)politischer Agitation oder durch die inhaltliche Konzentration auf gesellschaftsrelevante Themen. Womit wir letztlich bei Platos Idee von der „Kunst des guten Zusammenlebens“ angelangt wären. Die Kunst mutiert zur wahren Lebensaufgabe und wird völlig von ihrer materiellen Substanz befreit.

Aber selbst jene, die Kunst als Ware sehen oder ein Werk ausschließlich für sich selbst im stillen Kämmerlein horten, treten mit demselben ja zwangsläufig in einen wie immer gearteten Dialog. Allein die Genugtuung über den exklusiven Besitz eines künstlerisch oder zumindest materiell hochwertigen Kunstobjekts zeigt ja, dass dieses eine emotionale Wirkung erzeugt. Aus der Begegnung mit Kunst ergibt sich aber in jedem Fall deren individuelle Wertigkeit im Einklang mit der jeweiligen persönlichen Einordnung.

Bleibt noch, die generelle Aufgabe von Kunst als Innovationstreiberin durch die Epochen aufzuzeigen. Neue Wege gehen, verändern war immer eine Triebfeder für Künstler·innen. Schließlich sah man etwa in der Renaissance vor allem das Welterklärende oder auch Weltbeherrschende als Kunst. Nicht von ungefähr war Leonardo eigentlich vor allem ein genialer und visionärer Erfinder, obwohl ihm auch die Mona Lisa offenkundig nicht schlecht gelungen ist. Wir richten unsere Sicht von Kunst nach wie vor primär am relativ jungen Geniebegriff der Aufklärung aus. Bach sah sich noch als Werkzeug Gottes, der ihm erlaubte, aus dem allumfassenden Kosmos der Musik abzuschreiben. Bei Beethoven war das – nur ein paar Jahrzehnte später – völlig anders: seine Musik diente vielfach gerne der Verherrlichung Gottes; aber die Kompositionen waren ausschließlich Schöpfungen seines irdischen Genies.

„Da steh ich nun, ich armer Tor. Und bin so klug als wie zuvor“ [schließlich ist es schwer an Goethe vorbeizukommen, wenn es um Genies geht]. Weder hat sich eine schlüssige, allgemeingültige Definition dafür gefunden, was Kunst ist, noch kann man deren Sinn und Zweck eindeutig bestimmen. Ist ja auch schwierig bei einer derart vagen Sache. Aber vielleicht hilft die kolportierte Sicht einer welterfahrenen Auschwitzüberlebenden: „Außer der Kunst gibt es nichts auf der Welt, das einen Sinn hat“. Egal wie man diese definiert.

Und wo würden Sie Ihre Kunstsicht einordnen?

FORUM

1 Kommentar
  1. Univ.-Prof. Dr. Dr. Gerhard E. Ortner sagte:

    Für die meisten Menschen gibt es nur „Kunstundkultur“. Richtig ist: Kultur ist ein Oberbegriff, unter dem sich mehrere Aktivitäten des LebeWesen vom Typ „Mensch“ und deren Ergebnisse tummeln: Technologe, Ökonomologie, Wissenschaft, Sport. Wenn Personen etwas tut und wir empören uns : „Das ist doch keine Kunst!“, das heißt: „Das kann doch jede/r.“ und fügen hinzu „Kunst kommt vom Können!“, dann es ist für uns eben keine „Kunst“. Wenn wir zeitgeistig stöhnen: „Großes Kino!“, dann stehen wir vor einem KunstWerk. Das gilt für alle „Sparten“ unserer Kultur. Andere Definitionen sind möglich, aber sinnlos.
    LgvGEO
    P.S.: KulturStaatsministerinnen (in der Deutschen demokratischen BundesRepublik) sind im philosophischen WortSinn „KunstPolitikerinnen“. Aber das reicht ihnen wahrscheinlich nicht.

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Peter Schneyder