Kann Kunst unpolitisch sein?

Um diese Frage seriös zu beantworten gilt es zunächst klarzustellen, was unter „politisch“ zu verstehen ist, verstanden werden kann oder soll. In jedem Fall geht es dabei wohl um die „Polis“, also im weiteren Sinn um die Gesellschaft; nicht um Persönliches oder Privates. Wenn Kunst also politisch ist oder sein sollte, dann ist sie folglich nicht für das stille Kämmerlein der verschiedensten Kunstschaffenden gedacht, sondern ist nach außen, an ein wie immer geartetes Publikum gerichtet.

Das wiederum bedeutet, dass Kunst etwas vermittelt, also eine Botschaft hat. Diese kann mehr oder minder wertfreie Erbauung sein, die Freude an individuell als schön Empfundenem oder sie ermöglicht ganz simpel das Eintauchen in eine harmonische Welt abseits der Aufgaben, Herausforderungen oder auch Gefahren des Alltags. Kunst kann aber natürlich auch aufrütteln, auf Missstände hinweisen, auch dazu auffordern Veränderungen durchzusetzen, vielleicht sogar zu Gewalt aufrufen.

Schon sind wir bei jener Kunst, die man landläufig eine politische nennt, weil sie einer bestimmten Politik, also einem wie immer gearteten Gesellschaftsmodell und jenen dient, die dieses vertreten. In welchem Verhältnis stehen nun aber die jeweiligen Kunstschaffenden zu den Machthabern, die ihre Kunst für uns vielleicht gar nicht gut scheinende Zwecke instrumentalisieren? Schließlich wurde jedes Kunstwerk von jemand geschaffen oder es wird von Ausführenden reproduziert.

Wenn es um politische Ein- oder Zuordnung geht, kann es für Künstler·innen rasch recht eng werden: Wer zieht wo und mit welcher Berechtigung die Grenze zwischen „normalem“ Auftrag oder Engagement einschließlich opportunistischer Anbiederung zum persönlichen Vorteil oder aus Überlebensnotwendigkeit, und der Unterstützung eines Regimes, bis zur Identifikation mit dessen Denken und Handeln oder gar hin zur offenen und freiwilligen Agitation für ein System? Welche Form der Distanzierung ist erforderlich um in dieser Hinsicht als „unbelastet“ zu gelten? Sind demgegenüber jene, die verdeckt oder offen gegen Unrecht oder autoritäre Machtstrukturen auftreten automatisch sakrosankt? Kann letztlich die Nötigung zur Distanzierung von politischen Aktionen und Akteuren als ganz selbstverständlich geforderte Voraussetzung für Beschäftigung rechtens sein, während man den Zwang zur Identifikation mit ebendenselben Machthabern, um existenz- und oft sogar lebensbedrohenden Repressalien zu entgehen, nicht als Rechtfertigung für wahrscheinlich unausweichliche Angepasstheit gelten lässt? Müssen alle Helden sein?

Kunstwerke sollten eigentlich – sofern sie nicht inhaltlich deutlich positioniert sind – an sich frei von nichtkünstlerischen Aspekten rezipiert werden. Natürlich gibt es eindeutig zweckgebundene Kunst wie Nationalhymnen oder Revolutionslieder, Picassos „Guernica“ oder Denkmäler historischer Persönlichkeiten, die eine klare politische Ausrichtung haben und immer wieder für Diskussionen sorgen. Aber schon bei ungefragt für politische Zwecke okkupierten Werken wird es unscharf: Sind Liszts „Les Préludes“ zu ächten, weil eine Sequenz daraus von den Nazis als Siegesmelodie missbraucht wurde? Kann es wirklich sein, dass das Oeuvre längst verstorbener Literaten, Komponisten oder Maler aus Russland bei uns nicht mehr vorkommen darf, weil derzeit ein brutaler Repräsentant dieses Landes – den bis vor Kurzem noch alle rundum hofiert haben – dieses kulturelle Erbe beschmutzt, indem er einen sinnlosen Krieg anzettelt und dafür auch die eigene Bevölkerung in Geiselhaft nimmt?

Für die Beantwortung der Frage, ob Kunst in jedem Fall „politisch“ ist könnte man zwischen jenen Werken unterscheiden, die durchaus eine emotional-persönliche aber keine konkrete inhaltliche Botschaft haben und jenen, die – gewollt oder ungewollt – eine wie immer geartete politische Aussage oder Intention mehr oder minder deutlich unterstützen oder gar transportieren. So gesehen darf man auch jenen widersprechen, die Kunst prinzipiell als politische Äußerung sehen und dabei übersehen, dass künstlerische Angebote und Aussagen mehrheitlich ihre Rezipient·innen persönlich ansprechen und individuell zur Reflexion anregen wollen, ohne in eine bestimmte Richtung zu zeigen oder im Sinn einer politischen Agenda motivieren oder gar mobilisieren zu wollen.

Anders ist das natürlich bei Kunstschaffenden oder jenen, die Fluides wie Musik, Theater oder Tanz reproduzieren und so für Normalkonsumenten überhaupt erlebbar machen. Da wird das Politische entweder völlig losgelöst vom zuordenbaren Kunstwerk gesehen oder die Mitwirkung – etwa bei Filmen – wird als zwangsläufige Identifikation mit den transportierten Inhalten abgehandelt. Die Be- oder vielfach (Vor)Verurteilung von Protagonist·innen erfolgt da auf einem sehr schmalen Grat zwischen anmaßendem, selbstgerechtem Abstempeln und verständnisinnigem Übersehen von offensichtlichem Fehlverhalten.

Das Ausgrenzen und die Schuldzuweisung aufgrund unbeeinflussbarer Faktoren (etwa einer Staatsbürgerschaft) durch eine sich moralisch dazu berechtigt und auch überlegen fühlende Politikerkaste und die Direktionen von Theatern, Festivals oder Museen sollte wohl ohne weitere Diskussion abzulehnen sein. Und wer bei dieser höchst sensiblen Materie sofort nach Ächtung im Sinn der meist kritiklos akzeptierten „Cancel Culture“ unserer Tage ruft, sollte sich einmal die vielen Künstler·innen vergegenwärtigen, die sich ohne jede Not und daher wohl aus Überzeugung vor Wahlen in Personenkomitees finden oder sich als öffentlich(keitswirksam)e Unterstützer·innen von teils höchst fragwürdigen Anliegen oder Regimen deklarieren. Wer hat je von den Ortega-Fans (Nicaragua) eine öffentliche Distanzierung verlangt, als dieser zum Despoten mutierte?

„Versteher“ oder gar Unterstützer verbrecherischer Regime abzulehnen ist selbstverständlich auch in der Kunstwelt gerechtfertigt. Bei allen anderen sollte man wohl möglichst lange der freien Meinungsäußerung Raum geben. Sofern „politisch“ in der Kunst eine Hinwendung an die Allgemeinheit bedeutet, ist das ein klares Postulat. Kunst in den Dienst politischer Ideen oder Akteure zu stellen bleibt auch im Rahmen der künstlerischen Freiheit immer hinterfragenswert.

FORUM

2 Kommentare
  1. Univ.-Prof. Dr. Dr. Gerhard E. Ortner sagte:

    So ist es: Es kommt auf die gewählte Bedeutung der Bezeichnung an. In dem sich die KünstlerInnen mit ihren Artefakten an andere Personen, seien diese allein, in kleinen oder größeren Gruppen oder Gemeinschaften, als Staat organisiert oder auch nicht, handeln sie nicht „politisch“ sondern kommunikativ, wenn man so will „unterpersonal“. Mit der „Gesellschaft“ freilich kann man nicht kommunizieren, weil diese nur als Idee und nicht als ein „Wesen“, schon gar nicht als eine Person mit eigenem Werten und eigenem Willen existiert. Eine Idee kann man haben, aber nicht mit ihr kommunizieren. Das sehen „Sozialisten“ vom Typ „Rousseau“ freilich anders.
    Üblicherweise und mehrheitlich werden unter „politischer Kunst“ ideelle und materielle Produkte mit politischen Inhalten und/oder Intentionen, also solchen, die sich auf den Staat (=Polis!!!) und dessen Gstatlung und Steuerung beziehen, verstanden. Das ist durch die Idee der Freiheit der Kommunikation durch Kunst „abgedeckt“. Ob es sich dabei um „Kunst“ handelt, liegt in den Sinnen der BetrachterInnen.

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  2. Peter Planyavsky sagte:

    KLEINE ANMERKUNG, LES PRELUDES BETREFFEND:
    Ich wüßte nicht, warum man sich von „Les Preludes“ distanzieren sollte; hab ich ehrlich gesagt auch noch nie gehört. Es gibt sogar einen ganz besonderen Grund, das Stück zu ehren und hochzuachten (völlig abseits der rein künstlerischen Wucht des Werkes). Ich habe darüber schon vor einigen Jahren folgendes geschrieben:
    M. und ich gingen wenige Tage danach [nach dem 21. August 1968] in die Wochenschau; das war damals noch ein durchaus genügend aktuelles Medium. Wir erlebten etwas noch nie Dagewesenes. Die Wochenschau bestand diesmal nicht wie üblich aus mehreren Beiträgen, sondern nur aus einem einzigen, der zur Gänze der Tschechoslowakei gewidmet war. Und es gab keinen Kommentar, gar keinen, zum ersten und wahrscheinlich zum einzigen Mal. Man hörte auch keine Originalgeräusche, sondern nur Musik: „Les Preludes“ von Franz Liszt. Das war nicht irgendeine Musik. Mit dem triumphalen Hauptthema dieser sinfonischen Dichtung waren vor erst gut 25 Jahren die Siegesmeldungen der deutschen Wehrmacht eingeleitet worden; nun verwendete der tschechische Rundfunk, so lange er noch von irgendwo senden konnte, dieselbe Fanfare, und die österreichische Wochenschau schloß sich dieser um 180 Grad gewendeten Semantik an. Die apotheotische Reprise des Themas am Schluß des Stückes begleitete das unvergesslichste aller Bilder: ein offener Lastwagen in schneller Fahrt, darauf junge Menschen mit einer tschechischen Fahne, auf der deutlich Blut zu erkennen war.

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