Kunstgenuss!?

Die Charakterisierung von Kunst als „Lebensmittel“ ist mittlerweile allgemein gebräuchlich und findet auch gerne in politischen Reden Verwendung. Zum einen, weil die Produktion, die Verwendung und Sammlung all dessen, das wir landläufig unter dem Begriff Kunst subsummieren, evidenter Maßen seit vielen Jahrtausenden ein Bedürfnis der Menschheit ist und derart als offenkundig unverzichtbar gesehen werden muss. Zum anderen, weil die daraus abzuleitende Relevanz von Kunst für die Gesellschaft nicht nur eine Rechtfertigung, sondern auch die klare Verpflichtung zur Ermöglichung und Förderung derselben durch die dafür verantwortlichen Repräsentanten staatlicher Institutionen bedeutet.

Um gleich dem Hinweis darauf, dass dies doch alles nur die Bedürfnisse einer im Verhältnis zur Allgemeinheit eher kleinen und noch dazu höchst heterogenen Gruppe betreffen würde, den Wind aus den Segeln zu nehmen sei darauf verwiesen, dass diese Argumentation – selbst wenn sie zahlenmäßig korrekt ist – im Verhältnis zu anderen, selbstverständlich als Aufgabe öffentlichen Interesses gesehenen Bereichen zu bewerten ist. Wir bauen ja auch zurecht etwa Sportstätten mit Steuergeld, obwohl die Zahl der diese aktiv Nützenden ebenso begrenzt ist und analog auch jene der passiv Konsumierenden; sei es im Stadion oder vor einem Bildschirm. Der Einsatz öffentlicher Mittel ist sohin eben auch in verschiedensten Bereichen gerechtfertigt, die nicht nur direkt materiellem oder gesundheitlichem Nutzen des Wahlvolks dienen.

Wenn wir das Feld der vordergründigen Betrachtung einmal überwunden haben und bei der Formel „Kunst = Lebensmittel“ verweilen, wäre als nächstes zu klären, ob es sich hierbei um ein Grundnahrungsmittel oder ein Genussmittel, vielleicht aber auch beides handelt. Die im Titel angesprochene Floskel für die positive, beim Konsum schlicht Freude und Wohlgefühl erzeugende seelische Rezeption von Kunst suggeriert Exklusivität und könnte dazu verleiten, bei einer Einstufung von Kunst als individuelle, persönliche Erbauung abseits allgemeiner Notwendigkeit zu landen. Nun hat Kunst aber auch neben der Nahrungsaufnahme (um beim Bild zu bleiben) immer auch eine identitätsstiftende Funktion. Daraus kann man schlüssig ableiten, dass auch für Nichtkunstkonsumierende die Verfügbarkeit von und die Begegnung mit Kunst einen für deren Dasein relevanten Wert darstellt. Obwohl wahrscheinlich nicht einmal 5% der Bevölkerung auch nur einmal im Leben eine Vorstellung im Wiener Burgtheater besuchen, würde sich bei einer Abstimmung wohl kaum eine Mehrheit für die Schließung dieses Tempels dramatischer Kunst finden.

Die allgemeine Wertigkeit von Kunst als unabdingbarer Teil von unser aller Leben hat natürlich immer schon dazu geführt, dass man sie gerne und immer wieder staats- wie religionspolitisch instrumentalisiert hat. Da waren jene, die mit prachtvollem künstlerischem Rahmen Macht demonstriert haben, andere, die Kunst aus dem „elfenbeinernen Turm“ holen wollten und einer breiteren Schicht von Konsument·innen zugänglich machen wollten; wie etwa bei der „Kunst am Bau“. Und schließlich auch solche, die der Kunst nur einen limitierten Rahmen zugestehen wollten, sie zensurierten oder gar als „entartet“ verteufelten.

Wenn wir demgegenüber die Freiheit der Kunst betonen, erhebt sich unter Berücksichtigung der Vorklärungen weiter oben die Frage, ob der Kunst denn neben ihrer immanenten Bedeutung als seelisches Lebensmittel auch andere, konkrete Aufgaben oder Funktionen zuzuordnen sind oder gar von ihr verlangt werden dürfen/sollen/müssen. Geht es rein um persönliche „Erbauung“ bzw. „Genuss“ oder sind an Kunst auch gesellschaftlich relevante, also politische Anforderungen zu stellen?

Im 20. Jhdt. gab es parallel jene, die der Kunst Funktionslosigkeit verordneten (von Heidegger bis Adorno) und im Gegensatz dazu jene, die Provokation und Wachrütteln des Publikums als Aufgaben der Kunst sahen (vom Literaten Thomas Bernhard bis zu den Wiener Aktionisten oder Christoph Schlingensief). Lange davor, als Rhetorik noch als Kunst oder Astronomen als Künstler galten ging es um Ästhetik, Vergeistigung mittels und Ebenmäßigkeit in der Kunst. Das Prinzip vom „goldenen Schnitt“ in der Architektur ist da eines der Beispiele.

Vielen geht es bis heute um das beeindruckende Erleben von „Schönheit“ in und mit Kunst als ein geradezu transzendenter Akt. Schon Augustinus hat sich derart mit der Kunst beschäftigt; heute sind es hauptsächlich jene, die im Kunsterleben eine Ersatzreligion erkennen. Aber darf Kunst auch nur einfach kulinarisch gesehen werden? Wie ist das dann mit der Koch-Kunst? Oder ist der Kunstgenuss jeder Art die adäquate Rezeption, wie Peter Lodermeyer überlegt?

Dient die Kunst nur dem harmonischen Zusammenleben (Plato)? Oder gilt es durch Kunst die Gesellschaft weiterzuentwickeln, ihr Perspektiven aufzuzeigen, sie zu revolutionieren? Wem gehört Kunst? Sind Kunstwerke Selbstzweck oder Handelsware? Sind Auftraggeber oder Sammler von Kunst altruistische Mäzene oder snobistische Angeber? Was ist überhaupt alles Kunst oder darf es sein?

Ja, was denn?

Lassen Sie sich Ihren Kunstgenuss nicht vergällen. Aber deklarieren Sie in unserem FORUM Ihre Sicht desselben!

FORUM

1 Kommentar
  1. Univ.-Prof. Dr. Dr. Gerhard E. Ortner sagte:

    Ist das schööööön! Sozusagen „Akrobat schön!“. Es ist einfach wunderbar, wenn man – in Spuren oder auch massiv – Ideen (wieder) findet, die man – wann denn eigentlich ? – schon selbst gehabt und auch verbreitet hat. Oder von denen man glaubt, dass man sie selbst gehabt und auch schon verbreitet hat.
    „Kultur“ ist wohl all das, was das LebeWesen „Mensch“ von (allen) anderen LebeWesen,die wir kennen (JWvG), unterscheidet: Kultur ist das, was man mit (seiner) Natur anfängt, also „tut“. Dass dazu die Kunst gehört, kann man niemandem verdeutlichen, der nicht selbst drauf kommt, weil er zwar möglicherweise viel weiß, sich dessen und dessen Wert aber nicht bewusst ist. Liest sich komplizierter an als es ist.
    Aus mehreren Gründen verwende ich für die Bezeichnung eines Lebewesens der Klasse „Mensch“, der zum eigenen Bewusstsein gekommen ist, die lateinstämmige Bezeichnung „Person“. Personen leben gerne mit anderen Personen (und auch anderen LebeWesen) in Gemeinschaften. Manchmal auch nicht all zu gerne, weil die Natur, im Gegensatz zur propagierten Ansicht der IrrlehrerInnen der „last and lost generation“ eben keine Werte hat, noch solche kennt. Daher habe ich die GrundIdee der politischen Philosophie „Sozialer Personalimus“ ausgedacht. Und der erlaubt auch „Kunst“, ist aber allemal nichts als „Kultur“
    Kollegiale KulturGrüße von GEO & Erich Rentrow, beflissene KulturPhilosophen

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Liebe Kulturbeflissene,

das ist nun bereits die dritte Ausgabe unserer POSITIONEN und wir wollen regelmäßig weiterhin unterschiedlichste Aspekte von Kunst und Kultur beleuchten. Ihre Kommentare helfen mit, eine lebendige Diskussion zu ermöglichen. Als unbeschwerte Orientierung über unterschiedliche Meinungen, nicht als wertender Diskurs darüber, was denn wohl auch „richtig“ wäre. Die Stärke liegt dabei nicht bei der Konkurrenz mehr oder minder schlagkräftiger Argumente, sondern in der wunderbaren Kultur des „sowohl als auch“. Probieren wir’s einfach.

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Peter Schneyder