Kultur-Imperialismus?

„Ich will meine Interessen anderswo durchsetzen und bin auch stark genug, dies zu tun“ wäre eine präzise Beschreibung imperialistischer Motivation. Der Kolonialismus folgte diesem brutalen Prinzip aus wirtschaftlichen und machtpolitischen Gründen. Im Bereich der Kultur bedeutet ein derartiger Ansatz das Anpassen der Lebensart; gewaltsam erzwungen, mehr oder minder freiwillig, latent bzw. schleichend, unbewusst oder von den Zielgruppen sogar gewünscht und angestrebt. Eine breite Palette oft höchst indifferenter Vorgänge.

Am deutlichsten begegnet man kulturellem Imperialismus dort, wo Religion und Politik verschmelzen. Nachdem die Christen zuerst selbst wegen ihres Glaubens verfolgt und umgebracht wurden drehten sie bei den Kreuzzügen den Spieß um, bekämpften sich sodann gegenseitig, um in der Folge den meist sanfteren Weg der Missionierung zu wählen, damit die Welt bis in die letzten Winkel von der Überlegenheit ihres Modells der Sicht von Himmel und Erde überzeugt werde. Heute sind wir mit militanten Strömungen beim Islam oder auch bei Hindus konfrontiert und auch unter den Christen gibt es nach wie vor Gruppen, die bei ihrem „Kampf für den wahren Glauben“ wenig zimperlich sind.

Bei Kultur, also unserer Lebensart, geht es auch bei Werten jenseits von Religion, Geld und Recht vielfach um die Macht von Traditionen und Symbolen. Und hier ebenfalls um Erhalt, Koexistenz oder Preisgabe derselben. Am sichtbarsten bei der Kleidung, ebenfalls emotional aufgeladen beim Essen. Vom Kopftuch über den Kampf um die Bezeichnung Marille und die Schnitzelprämie bis zu verschiedensten Drogen und Verhaltensweisen. Eigentlich faszinierend, was uns alles im Innersten bewegt und oft auch zu Aggression verleitet.

Bei diesen Aspekten der Alltagskultur erschöpft sich meist auch die Diskussion um die Verteidigung oder den Verlust von Identität. Wobei zu beobachten ist, dass das Fehlen von Kulturtypischem umso stärker beklagt wird, je schwächer dieses Kulturgut tatsächlich gelebt wird. Immer weniger Lederhosen bei immer mehr Kopftüchern lassen erstere enorm wichtig werden, vermehrte Hinwendung zu Döner, Sushi oder Pizza erzeugen Sehnsucht nach Schutz für Schweinsbraten und Apfelstrudel. Ist das unser wahrer Kulturkampf?

Unter dem Gesichtspunkt des Imperialismus sind die vorgenannten Aspekte aber kaum abzuhandeln, da es dabei ja nicht um offensive Durchsetzungsstrategien geht, sondern um freiwillige Preisgabe von Traditionen, gegenüber dem Festhalten an diesen. Auch wenn manche aus Angst vor „Kulturverlust“ verschwörungstheoretisierend von gezielter Umvolkung schwurbeln geht es schlicht nur darum, was wem wichtig scheint und ist. Bei dieser Abwägung darum zu werben, offenkundig Identitätsstiftendes nicht leichtfertig aufzugeben, macht allerdings für alle Seiten Sinn. Ein kontinuierlicher Prozess wirkt identitätsstiftend, abrupte Änderungen erzeugen demgegenüber generell und daher auch im Kulturbereich eher Angst und Panik.

Dazu ein Beispiel zum Nachdenken. Rund 20 Jahre zurück in Novi Sad (Neusatz), nördlich von Belgrad: Erster Fehler, die Verortung in Serbien; „Wir sind hier in der Wojwodina“. Zweiter Fehler, der Hinweis darauf, dass offenkundig wieder orthodoxe Kirchen in orientalischem Stil gebaut werden; „Das sind die bosnischen Flüchtlinge, wir haben unsere eigenen Kirchen“. Die schauen aus wie österreichische, katholische Landkirchen, aber mit Ikonostase im Inneren. Weil das Toleranzpatent von Joseph II. es nur so erlaubte. Mittlerweile wurde der Zwang zum verteidigungswürdigen Identitätsmerkmal. Ist halt ein weites Land, die Kultur.

Ein eindeutig globaler kulturimperialistischer Ansatz, der auf allen Ebenen in keiner Weise als solcher wahrgenommen wird, ist jener moralischer oder moralisierender Forderungen, die ganz selbstverständlich erhoben werden. Niemand, der sich um einen Auftrag oder eine Förderung öffentlicher Stellen bemüht kommt heute darum herum, sich zu Wohlverhalten in Bereichen zu verpflichten oder dieses sogar nachzuweisen, die mit dem Gegenstand des Unterfangens wenig bis gar nichts zu tun haben. Ohne auf diese diversen „weichen Faktoren“ wie Geschlechtergleichstellung, Umweltschutz, etc. eingehen zu wollen ist evident, dass hier durchgängig ein ganz bestimmter Wertekanon aufgezwungen wird.

Besonders kurios zeigt sich dieser Zugang im Bereich der Unterstützung ärmerer Länder: Wenn es darum geht, was mit Geldgeschenken an Entwicklungs- oder Schwellenländer geschehen soll, genügen grobe Linien und es wird auch kaum geprüft, ob die Mittel tatsächlich wie angekündigt eingesetzt werden. Weil man die armen Leute ja nicht bevormunden will und die sicher am besten wissen, was sie brauchen (dieser Zugang bedeutet allerdings evidenter Maßen direkte Korruptionsförderung). Aber bei unseren moralischen Forderungen sind wir unerbittlich. Da wird bevormundet was das Zeug hält. Natürlich muss man sich darum kümmern, dass formale Rahmenbedingungen eingehalten werden, niemand will die Ausbeutung von Personal oder Umweltsünden fördern. Aber wäre der tatsächliche Kampf gegen Korruption nicht auch ein moralischer Ansatz? Einer, dem man durch direktes Engagement und entsprechende Kontrolle gerecht werden könnte?

Kulturimperialismus ist in keiner Weise positiv zu bewerten. Auch wenn er freundlich, wie etwa bei Mode und Moden oder auch mit dem erhobenen Zeigefinger daherkommt. Unsere Pflicht ist, diesen nicht achselzuckend bei den Kolonialisten in der Vergangenheit zu verorten, sondern seine Ausformungen im Hier und Heute zu erkennen und entsprechend zu (re)agieren.

FORUM

2 Kommentare
  1. GEO sagte:

    Wenn man sich die Mühe machte, die Bezeichnung „Imperialismus“ auf ihre Bedeutung hin zu untersuchen, entdeckt man, dass hinter dem lateinstämmige Wort die „politische“ Absicht steckt, ein „Imperium“ – deutsch: „ein Reich“ (pfui!) – zu errichten, an dessen Spitze man sich selber – und am liebten ohne Kolleginnen und Kollegen – platziert. Insofern sind die selbsternannten notorischen Imperialismus-Bekämpfer natürlich selbst Imperialisten und zwar – wie man derzeit erfahren kann – der radikalsten Sorte. Das freilich verbindet sie mit – allen (!) – ReligionsStiftern, so dieselben nicht auf göttliche Zeugung verweisen können. Der gegenwärtig bei den Nachfahren der 68 reüssierende MoralImperialismus ist ein weiterer Rückfall hinter wesentliche Ideen der Aufklärung(en); vor allem hinter die von mir entfaltete und angebotene Philosophie des befreiten Denkens. GEO (6.6.2023)

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