Aufschau-Kultur
„Wenn es Götter gäbe, wie hielte ich es aus, kein Gott zu sein?“ postuliert Friedrich Nietzsche in „Zarathustra“. Die meisten unter uns werden diesen Anspruch wohl an sich oder zumindest für sich zurückweisen. Weil sie diese Feststellung falsch finden, einfach keinerlei Ambition haben, (ein) Gott zu sein oder weil sie sich mit derart abgehobenen Überlegungen schlicht nicht auseinandersetzen bzw. belasten wollen. Sogar für einen im Wesen selbstbestimmten Menschen scheint das eine durchaus korrekte und praktikable Position zu sein.
Nun haben wir aber um uns herum neben den überirdischen Gottesbegriffen der Religionen eine ganze Reihe an sich erdverbundener Gleicherer (Politiker, Könige, Diktatoren, War-Lords, etc.), materieller Götzen (Gold, Luxuswaren, …) oder Idole (Heilige, Künstler, Sportler, u.a.m.) in deren Olymp sich nur einige wenige Sterbliche wiederfinden. Deren Status hätten wir in der Regel an sich gerne („Also, wenn ich …“), begnügen uns aber mangels Erreichbarkeit damit, sich diesen bzw. deren Vorgaben unterzuordnen, ihnen zu folgen, sie zu verehren oder gar auf spezifische Art zu lieben. Also müssen wir uns abseits der nur wenig steuerbaren Einordnung in ein politisch-hierarchisches System unseres jeweiligen Gemeinwesens, mit dem auch uns selbst betreffenden Phänomen freiwilliger Unterordnung bzw. Faszination ohne jeden persönlichen materiellen Nutzwert oder statusgenerierenden Vorteil auseinandersetzen.
Als plakativer Ausgangspunkt dieser Verhaltensanalyse bietet sich die Frage an, wieso im Normalfall durchaus realitätsbasiert handelnde Menschen Zeit und Geld investieren, um meist operettenhaft kostümierten, sogenannten gekrönten Häuptern oder irgendwelchen (Geld)Adeligen warum auch immer zuzujubeln, um vielleicht sogar einen Händedruck oder gar eine Wortspende derselben zu ergattern. Ist es das Schauspiel, bei dem man derart zumindest irgendwie mitwirken darf? Geht es um eine Art kultureller Aktivität wie beim Kunstkonsum, der mir emotionale oder auch intellektuelle Bereicherung gegen Eintrittsgeld bietet? Oder möglicher seelischer Gewinn wie etwa bei einer Papstaudienz am Petersplatz in Rom?
Was motiviert Adoranten von Künstlern oder Sportlern aller Genres, dieselben Heiligen gleich zu verehren, anzuhimmeln, Geld für Autogramme oder Devotionalen von diesen zu zahlen oder sich gar als kreischende Groupies zu gebärden? Ist es der individuelle Wert einer wie immer gearteten – vermuteten, imaginierten und so gut wie nie tatsächlich vorhandenen – Beziehung zum Subjekt der Verehrung? Geht es um eine Variante von Anerkennung einer künstlerischen Leistung oder Dank für empfangenen, erhebenden Ereignisgenuss? Alles eine Frage meiner individuellen Befindlichkeit beim Umgang mit immateriellen Möglichkeiten und Angeboten, die sich mir bieten oder nicht, die ich nützen oder lassen kann.
Ganz anders – obwohl in der Erscheinungsform ähnlich und oft sogar ident – ist die Sache dann, wenn ich mir die Adressaten meiner Huldigung nicht einfach aussuchen kann. Noch schlimmer, wenn mich Herrschende kraft ihrer Macht in meiner individuellen Freiheit einschränken, mir Not oder selbst Tod bescheren. Und doch gibt es nachweislich viele, die autoritären Führern, Diktatoren oder absolutistischen Monarchen aus ehrlicher Überzeugung und ohne Zwang zujubeln, sich im Extremfall sogar für diese aufopfern. Auch wenn sie nicht durch Gefängnis, Folter oder Tot bedroht sind. Da wird die Sache schon wesentlich vertrackter.
Wie, wenn meine Verehrung oder mein Verpflichtetfühlen bis hin zur Aufopferung sich gar nicht auf konkrete Personen, sondern auf abstrakte Wertvorstellungen bezieht? Welchen Wert haben dabei Solidarität, Treue, Liebe, Rechtsempfinden oder – für uns heute eher unverständlich – Ehre? Welche Art von Freiheit ist mir mein Leben wert? Plötzlich landen wir, ausgehend von theoretischen Denkansätzen über die Diskussion mehr oder minder belangloser Hinwendung oder Unterordnung bei Krieg und Frieden. Die Abwägung, inwieweit für mich – losgelöst von persönlichen Verbindungen oder Gebundenheiten – Friede schlicht die Absenz von Krieg und Gewalt ist oder unbedingt auch persönliche Freiheit nicht nur im Handeln, sondern auch im Denken und bei der Deklaration meiner Gedanken umfassen muss, ist brutal aktuell.
Auch wenn ich dank geografischer Distanz nicht persönlich betroffen bin, werde ich doch gezwungen mich der Frage zu stellen, wie sehr mir im Anlassfall mein Leben lieb ist im Verhältnis zu vielleicht gar nicht eindeutig definierbaren Werten. Plötzlich geht es nicht mehr um Bühnenkünstler aller Art, sondern um meine Familie, meine Freunde, meine Nachbarn im Verhältnis zu mir und meine Wahl des Wegs im Anlassfall. Alle dürfen sich glücklich schätzen, die eine solche Abwägung nicht treffen müssen. Und wir sollten uns hüten vorschnell zu beurteilen, wie andere, die tatsächlich in einer derart misslichen Lage sind, sich verhalten und ihre diesbezügliche Vorgehensweise rechtfertigen.
Wenn Kultur unsere Art zu leben ist, müssen wir allerdings erkennen und akzeptieren, dass zwischen wohlmeinendem – fallweise vielleicht auch unbedachtem – Applaus und brutaler Realität ein Zusammenhang besteht. Sowohl am heiteren wie am bitteren Ende der Skala ist unsere Lebensart und somit unsere Kultur davon bestimmt, wohin wir unsere Blicke richten.












Ich bezweifle, dass diese Frage überhaupt noch zu stellen ist. Alle Wege führen – soweit nicht ohnehin bereits erfolgt – in die vollständige Kontrolle. Und alle sind begeistert, denn wir haben bekanntlich nichts zu verbergen. Welche(s) Kästchen angeklickt werden wird um definierte Gruppen auszuwählen und mit ihnen weiß Gott was zu tun, wird man erleben. Aber wer brav ist, hat ja nichts zu befürchten – vielleicht.
Ich habe gelesen, dass es nur zwei Arten von Menschen gibt: Idioten und nützliche Idioten. Im Zweifel ziehe ich es vor ein Idiot zu sein.