Kunst ist nicht Kultur

Es war um das Jahr 1990 als der Komponist und Pianist Otto M. Zykan, als anerkannter und teils umstrittener Künstler, in einem an Herzmanovsky-Orlando gemahnenden Umfeld seine Sozialversicherungsangelegenheiten regeln wollte. Nun war er aber nirgends Lohnempfänger („Sans denn ka Professa?“) und als eigenständige Gewerbe für Selbstständige gab es zwar noch Regenschirmmacher und Sargtischler, nicht aber Musiker oder Künstler (nur die „Künstlervermittlung“ im Bereich des horizontalen Gewerbes). Also blieb er unversichert und kaufte sich zur Absicherung gegen krankheitsbedingte Zahlungsnotwendigkeiten und für die Finanzierung des Lebensabends ein Bauernhaus im Waldviertel.

Diese und ähnliche Schicksale führten immerhin dazu, dass man sich an die Schaffung eines österreichischen Künstlersozialversicherungsgesetzes machte. Das war völlig problemlos, bis man zur Definition kam, wer oder was denn Künstler·innen wären. Man begann bei der Idee einer Vorlage von Werken und scheiterte grandios an deren objektiver, qualitativer Bewertbarkeit ebenso wie beim fluiden Musikvortrag, Tanz oder Schauspiel. Der nächste Ansatz war die Ausbildung. Da war es geradezu peinlich als sich herausstellte, dass viele höchst erfolgreiche Kunstschaffende Autodidakten waren. Also einigte man sich auf das einzig messbare: Geld.

Da war die korrekte Definition von Kunst und Künstler/in plötzlich unerheblich und das 2001 geschaffene Gesetz begnügt sich mit der In-sich-Definition „Künstler/in ist, wer Werke der Kunst schafft“. 2015 wurde dann auch noch der bis dahin gültige Zusatz „auf Grund ihrer/seiner künstlerischen Befähigung“ entsorgt. Eine späte Würdigung der Postulate von Joseph Beuys „Jeder Mensch ist ein Künstler“ oder „Kunst = Kapital“. Künstler·in ist also, wer dies von sich behauptet oder wem man Künstlersein zuordnet. Man erfreut sich „neuer Selbstständigkeit“ und sozialversicherungstechnisch ist alles geregelt. Die Definition von Kunst ist elegant umschifft und nicht mehr nötig.

Weil was oder wie Kunst ist, zwar poetisch oder philosophisch beschrieben, von Rezipienten qualitativ oder vom persönlichen Geschmack her und von Kunsthändlern in ihrem jeweiligen Marktwert eingeordnet, nicht aber faktisch objektiv festgestellt werden kann.

Aber was bedeutet dann Kultur? Landläufig erfolgt leider auch bei Kultur-Politikern und -Journalisten eine Gleichsetzung mit Kunst. Daneben werden Brauchtum und Traditionen als „Volkskultur“ eingeordnet, Sport und Spiel aber – igittigitt – außerhalb von Kultur gesehen. Es ist geradezu faszinierend, mit welcher Selbstverständlichkeit hier über Generationen hinweg absolut Ungleiches munter vermischt wird.

Schon oft zitierte philosophische Annäherungen an das Thema Kultur sind klare Handlungsanweisungen, nicht Zufriedenheit und Zuckerguss. So bei Friedrich Schiller: „Die Kultur soll den Menschen in Freiheit setzen und ihm dazu behülflich sein, seinen ganzen Begriff zu erfüllen. Sie soll ihn also fähig machen, seinen Willen zu behaupten, denn der Mensch ist das Wesen, welches will. Dies ist auf zweierlei Weise möglich. Entweder realistisch, wenn der Mensch der Gewalt Gewalt entgegensetzt, wenn er als Natur die Natur beherrschet: oder idealistisch, wenn er aus der Natur heraustritt und so, in Rücksicht auf sich, den Begriff der Gewalt vernichtet.“ Oder bei Arthur Schnitzler: „Der Endzweck aller Kultur ist es, das, was wir „Politik“ nennen, überflüssig, jedoch Wissenschaft und Kunst der Menschheit unentbehrlich zu machen.“

In überzeugender Konsequenz leitet sich von derartigen Positionen die von der Österreichischen Kulturvereinigung (www.kulturvereinigung.at) gefundene Definition „Kultur ist, wie wir leben“ ab. Kultur ist also unsere jeweilige Lebensart; nicht Kunst, sondern unser Umgang mit dieser und Sport ist selbstverständlich Teil des kulturellen Lebens. Plötzlich werden Begriffskombinationen wie „Rechtskultur“ oder „Esskultur“ verständlich, verliert der Begriff „Leitkultur“ als Hinweis auf nationale, regionale, lokale oder persönliche Eigenart seinen aufgebürdeten Beigeschmack.

Dabei geht es immer um Werte, also um alles, das mir oder uns etwas wert ist. Und plötzlich wird Kultur politisch höchst relevant. Weil es dabei insgesamt darum geht, was einer Gesellschaft wichtig ist. Es wird klar, dass Kultur vor allem jede und jeden höchst individuell und persönlich betrifft, dass es nicht sein kann, dass jemand „keine Kultur“ hat. Wenn aber Kultur unseren Umgang mit allen Mitmenschen, dem jeweiligen Umfeld und der (Um)Welt bedeutet, jedes Handeln der Politik aber zwangsläufig immer unsere jeweilige Gemeinschaft, unsere Familien und uns selbst betrifft ergibt sich eindeutig, dass jede gesetzliche Regelung auch Kultur-Politik ist.

Da es also keine sinnvolle Definition von Kunst gibt und geben kann, wenn klar ist, dass Kunst nicht mit Kultur gleichzusetzen ist, letztere uns aber alle täglich betrifft, dann sollten wir wohl unbedingt dahin wirken, dass Kultur in Politik und Medien von der Neben- zur Hauptsache wird.

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