Stärcke der Lieb
Bei den Kulturtagen im steirischen Neuberg an der Mürz ging es im Juli 1999 darum, die kurz davor renovierte und mit einer neuen Orgel ausgestattete, kleine Grünangerkirche mit einem besonderen Angebot zu bespielen. Realisiert wurde eine eigens für diesen Anlass konzipierte, szenisch aufbereitete Collage speziell aufeinander abgestimmter Musikstücke zum Thema „Liebe“. Als spezielle Form einer Kirchenoper wurden Werke des 17. Jahrhunderts von Leonhard Lechner und Johann Heinrich Schmelzer als „Liebesspiel“ kombiniert, durch eigens für diesen Anlass von Herbert Lauermann komponierte Orgelversetten und eine Predigt des damaligen, höchst kunstsinnigen Pfarrers Peter Schleicher [1946-1921] sowie einen vorangestellten „Liebespfad“ (eine Stationenwanderung vom Kreuzgang des Neuberger Münsters zur Grünangerkirche) ergänzt. Lichtinstallationen, choreographische Interpretationen und live-Videos waren die Mittel der szenischen Umsetzung.
Schmelzers „Stärcke der Lieb“ ist ein Paradebeispiel für das bei den Habsburger-Herrschern so beliebte „Sepolcro“; ein österreichisches Gegenstück zu den deutschen Passionsoratorien von Schütz bis Bach, für die szenische Realisierung vor allem in der Wiener Hofburgkapelle in der Karwoche gedacht (da man an diesen Tagen keine Opern aufführen durfte). Die thematische Besonderheit dieser Werke war, dass nicht die Geschichte vom Leiden Christi erzählt wurde, sondern verschiedene biblische Gestalten unter dem Kreuz meditative Reflexionsgespräche abhielten. Die Liebe Christi und deren sündige Ignoranz durch die Menschen war immer wiederkehrende Kernthematik.
Obwohl diese Tradition um die Mitte des 18. Jahrhunderts aufgegeben wurde, finden sich auch noch bei den Meistern der Wiener Klassik entsprechende Kompositionen: von der Mozart’schen „Grabmusik“ über „Die sieben Worte unseres Erlösers am Kreuz“ bei Haydn zu „Christus am Ölberg“ von Beethoven und letztlich zum unvollendeten Auferstehungsoratorium „Lazarus“ von Schubert. Wobei diese alle als Vorlagen die Sepolcri ebenso kannten wie – anders als oft kolportiert – auch die Bach’schen Passionen.
Leonhard Lechner hat in seinem letzten Lebensjahr 1606 Teile aus dem biblischen „Hohelied Salomonis“ eindrucksvoll für vier Singstimmen vertont. Die Besonderheit dieser Aufführung war, dass alle Stimmen einschließlich Sopran – der Aufführungspraxis zur Entstehungszeit entsprechend – von Männerstimmen gesungen wurden.
Die szenischen Akzente sollten dem Publikum zusätzliche Assoziationsmöglichkeiten bieten.